Arvo Pärt: Choral Works (CD Review - klassik.com, 2014)

Ein über fünfzig Jahre ausgreifendes Panorama mit Chormusik des Esten Arvo Pärt: Stephen Layton und sein Ensemble Polyphony erweisen sich als kongeniale Interpreten.

Die Musik des Esten Arvo Pärt in das Reich des allzu Leichten, auch des Gefühligen zu verweisen, ist manchem Verächter ein Bedürfnis. Doch perlt solcherlei Kritik bemerkenswert souverän an Pärt und seiner Kunst ab. Das ist bei genauerem Hinsehen und Hinhören nicht überraschend: Pärt ist ein außerordentlich präziser, im Einsatz seiner Mittel durchaus ökonomischer und dezidierter Komponist – keiner, der Vordergründigkeiten erläge. Gerade die Begegnung neuerer Werke mit solchen früherer Schaffensphasen, in denen der strenge Serialist Pärt zu erleben ist, zeigt, dass der Este die einst erworbene satztechnische Konsequenz auch im stark reduzierten, vereinfachten Material seines allmählich gereiften Tintinnabuli-Stils anwendet: Alles bleibt gefasst, wirkt aus einem ästhetischen Grundkonzept heraus motiviert. Und genau in dieser Stringenz unterscheidet sich Pärt von den vielen Nachahmern oder bloßen Kopisten seines Stils markant – er ist eben kein Wohlfühlkomponist; auch die zugänglichsten Werke sind von einer bemerkenswerten Strenge grundiert.

All das zeigt die vorliegende neue Pärt-Platte des von seinem Gründer Stephen Layton geleiteten englischen Ensembles Polyphony: Der sehr schöne Querschnitt öffnet ein weites Panorama über ein halbes Jahrhundert schöpferischer Arbeit und zeigt unleugbare Entwicklungen ebenso wie die schon angedeuteten bemerkenswerten Kontinuitäten.

Das am frühesten entstandene Stück ist das seriell gearbeitete 'Solfeggio' von 1963, dessen erstaunliche Leichtigkeit bei aller satztechnischen Strenge schon auf spätere Entwicklungen verweist. Für den frühen Tintinnabuli-Stil mit seinem affektiv schlichten Ansatz steht das 1976 komponierte 'Summa', eine Vertonung des lateinischen Credo-Texts. Klassiker der 1990er Jahre sind 'The woman with the alabaster box' oder die für den Mädchenchor Hannover geschriebenen 'Zwei Beter'. Pärts Produktivität auf hohem Niveau war auch im vergangenen Jahrzehnt ungebrochen, wofür das ergreifende, 2004 auf Anregung von Jordi Savall nach den Madrider Terroranschlägen entstandene 'Da pacem, Domine' steht: Pärt auf der Höhe seiner Kunst. Wenigstens erwähnt werden sollen die beiden Ersteinspielungen des Programms: Ein 2008 erstmals konzertant gesungener Alleluia-Tropus auf einen dem Heiligen Nikolaus von Myra gewidmeten Text und das bemerkenswert klangsinnliche 'Virgencita' von 2012, das von der mexikanischen Legende der Jungfrau von Guadeloupe inspiriert ist, ein reiches Stück, das vom Estnischen Philharmonischen Kammerchor erstmals in Mexiko aufgeführt wurde.

Interessant ist der Nebenaspekt, dass Pärt sich auch in den zahlreichen Auftragswerken als gleichbleibend qualitätvoll setzender Komponist erweist. Ein insgesamt sehr schönes Porträt mit einigen deutlich lohnenden Erstaufnahmen.

Mit dem Stil intim vertraut

Man kann ohne Übertreibung sagen, dass Stephen Layton und sein Kammerchor Polyphony – gemeinsam mit dem Hilliard Ensemble, mit dem Estnischen Philharmonischen Kammerchor oder dem von Paul Hillier geleiteten Theatre of Voices – zu den ganz wichtigen Exegeten, ja künstlerisch Vertrauten Pärts auf den Podien der Welt und in etlichen maßstäblichen Einspielungen zählen. Diese stilistische Vertrautheit und interpretatorische Expertise, diese ästhetische Nähe zeigen sich auf der neuen Platte eindrucksvoll. Denn Pärts Musik hört sich so leicht und singt sich so schwer: In all ihrer Konzentration, der fein abzuschattierenden, elegant zu dosierenden Energie, in der linearen Unerschöpflichkeit, in der affektiven Schlichtheit bei gleichzeitiger Spannung muss doch jeder konstruktive Zug leicht und selbstverständlich wirken. All das ist hier in beglückender Klarheit und Präsenz zu hören; der Chor wird diesen sehr spezifischen Anforderungen mühelos gerecht.

Darüber hinaus beweist er sich mit profilierten Registern, erlesenen lyrischen Qualitäten und natürlicher Diktion als wunderbar harmonisches Ensemble in allen der ‚üblichen‘ Parameter. Herauszuheben ist die exzellente Intonation: Alles wirkt perfekt ausgehört, lässt auf eine hochsensible Interaktion im Ensemble schließen, gleichbleibend zuverlässig in enger und weiter Lage. Auch mit Blick auf die oft fast stillstehenden Tempi deutet das intonatorische Ergebnis auf erhebliche Qualitäten, muss es schlicht herausragend genannt werden. In der Artikulation zeigt sich gleichfalls die Kennerschaft des Ensembles: Pärts Stil wird kongenial aufgegriffen, in großen Bögen auf bemerkenswert ausgreifendem Atem, mit der fein dosierten Energie, mit der gestalterischen Geduld. Das Klangbild ist angemessen groß, mit feiner räumlicher Korona versehen, dazu präzis gestaffelt, ausgewogen und strukturklar.

Stephen Layton und Polyphony sind wirklich berufene Anwälte der Musik Arvo Pärts. Und sie unterstreichen mit ihrer aktuellen Platte eindrucksvoll, dass sie zu den maßgeblichen Interpreten der Werke des estnischen Komponisten gehören.

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